HOLOCAUST
NRZ, 27.01.2025, von Susanne Zimmermann
Im Anschluss an die Gedenkfeier legten Bürgermeisterin Ulrike Westkamp mit Schülern und Teilnehmern einen Kranz zum Gedenken an die Opfer des Holocaust nieder.
Der Willibrordi Dom ist voller frischer, junger Gesichter, auf den Tag genau 80 Jahre nachdem das Konzentrationslager Auschwitz befreit wurde und das ganze Ausmaß des Naziterrors auch für jene sichtbar machte, die bis dahin wegschauten. Für junge Menschen ist das eine sehr lange Zeit. Bürgermeisterin Ulrike Westkamp versucht bei der Gedenkstunde, das ganz alltägliche Grauen der Diktatur in die Gegenwart der Weseler Schülerinnen und Schüler zu holen. „Stell Dir vor, Deine Mitschülerin, Dein Mitschüler neben Dir, verschwindet von einem auf den anderen Tag“, sagt sie. Normalität unter dem Naziterror, auch in Wesel. Neben der Vergangenheit spielt immer die Gegenwart eine Rolle, die drohende Gefahr. „Stell Dir vor, Du weißt, dass es heute Menschen gibt, die das zur bitteren Realität machen wollen“, sagt Westkamp.
Verstörende Dissonanzen
Fünf Türen für fünf Schicksale haben Schüler des KDG im Dom aufgebaut. Sie zeigen die Gesichter von Clara Albersheim, Johanna Humberg, Erich Leyens und Ernest Kolman aus Wesel, zwei Jüdinnen, die nicht mit dem Leben davon kamen und zwei Juden, die es geschafft haben und danach Zeugnis ablegten. Da ist noch die eine Tür für Anne Frank, das Mädchen, das sich versteckte, verraten und ermordet wurde. Das Ganze begleitet von verstörend dissonanten Klängen: Musik unter anderem von Viktor Ullmann, komponiert 1943 im KZ Theresienstadt, er starb 1944 in Auschwitz. Oder von Luigi Nono, der das KZ überlebte, sensibel gespielt von Jugendlichen und Lehrenden des KDG.
Pfarrer Christoph Kock baut mit Blick auf die Migrationspolitik eine Brücke in die Gegenwart. „Heute sind wir gefragt: Für wen halten wir die Türen offen?“ KDG-Schülerinnen geben den Namen Gesichter: Johanna Humberg, Weselerin, Lehrerin, Vorreiterin für Frauenrechte und soziale Gerechtigkeit, eine politische Frau. Clara Albersheim, eine bürgerliche Hausfrau und Mutter, die ihre Familie umsorgte und mit 75 Jahren in Auschwitz starb. Erich Leyens, hoch dekorierter Soldat im Ersten Weltkrieg, der nach dem Aufruf der Nazis zum Boykott jüdischer Geschäfte seine Uniform samt Orden anzog und vor das Textilkaufhaus seiner Familie ging, um die Menschen aufzurütteln. Es half nicht, immerhin konnte er fliehen. Nach ihm ist der Leyensplatz benannt. Und Ernest Kolman, den viele auch junge Weseler noch kennengelernt haben weil er zurückkehrte und vom Schrecken berichtete, er wurde Ehrenbürger der Stadt und starb 2021.
„Das persönliche Problem war doch nicht etwa, was unsere Feinde taten, sondern was unsere Freunde taten.“
(Bürgermeisterin Ulrike Westkamp zitiert Hannah Arendt.)
Wolfgang Jung vom Jüdisch-Christlichen Freundeskreis Wesel betont die Aktualität der Erinnerungsarbeit. Auch heute finde Antisemitismus wieder Platz in den Köpfen, habe die AfD eine Stimme, von rechtsextremen Kräften entscheidend getragen. Erinnerungsarbeit müsse die Gegenwart im Blick haben, sie sei die Voraussetzung für Schutz. Er erinnert an die Demonstration für Vielfalt am 7. Februar 2024 in Wesel und lädt ein zur Mahnwache am Großen Markt und rund um den Dom am 8. Februar ein, sie beginnt um 11.45 Uhr.
Freunde wandten sich ab
Bürgermeisterin Ulrike Westkamp zeigt auf, wie sich Worte wie „biodeutsch“ und „Remigration“ in den alltäglichen Sprachgebrauch ganz selbstverständlich einschleichen und sie zitiert Hannah Arendt, die als junge Jüdin vor den Nazis fliehen musste. Die Jüdinnen und Juden in Deutschland seien nicht über die Machtergreifung der Nazis schockiert gewesen, dass die Nazis Feinde jüdischen Lebens waren, hätten sie bereits davor gewusst. „Das persönliche Problem war doch nicht etwa, was unsere Feinde taten, sondern was unsere Freunde taten“, zitiert sie Arendt.