Lesung – „Demokratie-Retter“ und Autor in Wesel: „Dämlich von Merz“

NRZ, 31.01.2025, von Eva Karnofsky

Wesel. Journalist Jürgen Wiebicke diskutiert mit Schülern des Konrad-Duden-Gymnasiums in Wesel über Demokratie. Warum er ein AfD-Verbot für falsch hält.

Journalist und Buchautor Jürgen Wiebicke hat am Freitagvormittag mit der Vorstellung seines Buches über Demokratie eine Kooperation zwischen der Buchhandlung Korn und dem Konrad-Duden-Gymnasium eingeläutet. Das Konzept, abends in der Buchhandlung und am Morgen dann vor Schülerinnen und Schülern der Abi-Jahrgänge und der elften Klassen zu lesen, soll wiederholt werden. Die Schülerschaft löcherte den vor allem durch das „Philosophische Radio“ im WDR bekannten Wiebicke mit vielen Fragen.

Schriftsteller Jürgen Wiebicke spricht mit Schülern des Konrad-Duden-Gymnasiums Wesel im Rahmen eines Demokratieprojekts © FUNKE Foto Services | Markus Weißenfels

Zunächst erzählte Wiebicke aus einem Dorf, in dem die Bäckerei zugemacht hatte. Auf einer Karnevalsfeier entstand dann die Idee, eine Genossenschaft zu gründen, den Laden zu kaufen und einen Bäcker einzustellen. Mehrere Hundert Menschen machten mit und die Idee wurde erfolgreich umgesetzt. Für Wiebicke ist das ein Lehrstück für Demokratie, weil es zeigt, dass jeder Mensch etwas bewirken kann. Und: „Nur freiheitliche Gesellschaften geben den Rahmen, so etwas zu schaffen.“ Demokratie sei auch eine Lebensform.

Das Interesse, sich zu beteiligen, beginne oft mit einer Demo, in der man sich gegen eine bestimmte Entwicklung stellt: „Solche Bewegungen sind oft entscheidend für sozialen Fortschritt“, erläuterte Wiebicke. Perspektivisch reiche es allerdings nicht, nur gegen etwas zu sein. Auf die Frage, ob es einen Schlüsselmoment gegeben habe, mit „Erste Hilfe für Demokratie-Retter“ nun ein zweites Buch zum Thema Demokratie zu schreiben, sagte Wiebicke, es seien die Remigrationspläne gewesen, „dass man plante, Millionen von Menschen auszuweisen.“

Jürgen Wiebicke liest in Wesel: Angst tropft von den Wänden

Was ihn momentan umtreibt, ist die Vertrauenskrise der Parteien. Deren negative Einschätzung sei eine Gefahr, denn „es gibt keine einzige Demokratie ohne Parteien. Ohne sie hätten wir 83 Millionen Parteien. Wir brauchen Parteien, damit die Dinge sortiert werden.“ Auf die Frage, wie man sich gegen Rechts positionieren solle, forderte er Mut und weniger Angst, sich den Debatten zu stellen.

Nachdem Schülerschaftssprecher Simon berichtet hatte, er selbst setze sich seit vier Jahren für eine Skatepark ein und der sei immer noch nicht gebaut, meinte Wiebicke, dass zur Demokratie Geduld gehöre. Politische Entscheidungen dauerten lange, weil sie verschiedene Interessen zusammenbringen müssten. Wiebicke war sich aber sicher, dass sich Simon, wenn der Park irgendwann stehe, freuen würde, dass er etwas bewirkt habe. Eine Schülerin interessierte, was passiere, wenn die Demokratie wegfiele. Die Antwort war einfach: „Dein Vater dürfte dich wieder schlagen. Dann ist die Zeit vorbei, dass ich über mich selbst bestimme.“

Die Grenzen der Demokratie seien weit, erläuterte der Autor, aber sie seien erreicht, wenn aus Gegnern Feinde würden, wenn etwa die AfD eine Politikerin nach Anatolien „entsorgen“ wolle. Ein Verbot der AfD hielt er trotzdem für die falsche Lösung, weil dann deren Wählerschaft ausgegrenzt würde. Aber was am Mittwoch im Bundestag geschehen sei, „war schon einigermaßen dämlich von Herrn Merz.“ Dennoch gäbe es jederzeit die Möglichkeit, die Richtung zu wechseln. Derzeit tropfe die Angst von den Wänden, analysierte Wiebicke, aber Angst gehöre zum Leben, und man müsse sich ihr stellen.

Die Behauptung, es sei unsicher geworden in Deutschland, sei außerdem falsch: „Es gab noch nie eine Gesellschaft, in der man so sicher gelebt hat.“ Am Schluss war Sophie zufrieden, vor allem über den Hinweis, man müsse in der Demokratie Brücken bauen. Oliver dagegen war es zu theoretisch: „Zu wenig AfD, zu wenig Trump“.